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Was tut mehr weh – mit Steinen beworfen zu werden, oder mit Wörtern?

Mein Lieblings-KI-Sprachmodell lieferte für dieses englische Sprichwort: „Sticks and stones may break my bones, but words can never hurt me“  folgende deutsche Entsprechung: „Stock und Stein brechen mein Gebein, doch Worte bringen keine Pein.“ Ich habe keine Ahnung, ob die KI diesen Satz spontan erfunden hat, aber darum geht es nicht. Den englischen Satz kenne ich aus meiner Kindheit, und erst jetzt geht mir auf, wie dämlich er ist. Klar, er sollte als eine Art Trostpflaster dienen, nachdem jemand beleidigt oder auf sonstige Weise durch gemeine Worte niedergemacht wurde. Und er mag vordergründig ein bisschen helfen – das Opfer kann vielleicht sein eingedelltes Selbstwertgefühl wieder etwas herstellen, indem es sich über den Täter erhebt.

Aber jetzt ernsthaft: Dieser Satz ist schlichter Unfug. Selbstverständlich können zwar Stöcke und Steine schwere Schäden anrichten, vor allem dann, wenn sie mit Sprengstoff versehen werden und Gewehre und Granaten heißen. Aber Wörter können auch zerstörerisch wirken – und sind oft genug der Grund, weshalb Menschen erst anfangen, nach Stöcken und Steinen zu greifen.

Im Klartext: So bewundernswert und großartig Sprache auch sein kann, eine dunkle Seite hat sie auch. Wenn du ein wenig über ihr endloses Potential für Missverständnisse nachdenkst, könntest du dich sogar fragen, ob diese Erfindung durch die Menschen unterm Strich eine gute Idee war. Das Leben unserer vorsprachlichen Vorfahren mag uns primitiv erscheinen, aber sie mussten sich wenigstens nicht mit der ganzen Verwirrung, Entfremdung und dem Unfrieden auseinandersetzen, die durch das gesprochene, geschriebene oder sonstwie vermittelte Wort verursacht werden können. Naja, begraben wir den Gedankengang lieber schnell, denn sonst gäbe es ja keine Spielwörter.

Manchmal kommt es mir wie eine Ironie des Schicksals vor, dass ausgerechnet Englisch Weltsprache geworden ist. Warum unbedingt dieser Wirrwarr, zusammengewürfelt aus zich verschiedenen Sprachen, inzwischen selbst durch unzählige Unterarten vertreten, und dermaßen regelresistent, dass die Regelausnahmen gefühlt den regeltreuen Wörtern und grammatikalischen Strukturen zahlenmäßig überlegen sind? Vielleicht steht der echte Babelturm irgendwo in England. Das ist aber nicht alles. Auf diesem ungünstigen Fundament aufbauend haben meine Vorfahren dafür gesorgt, dass ganze Sätze zwar oberflächlich eindeutig zu sein scheinen, in der Praxis aber zwei- oder dreideutig sind. Seit einigen Jahren geht im Internet eine lustige Liste herum, die auf die Tücken dieser Mehrdeutigkeit hinweisen soll. Es geht um eine Gegenüberstellung von dem, was gesagt wird und dem, was tatsächlich gemeint ist. Du kannst die kleine Abbildung in der rechten Spalte anklicken, um dir die volle Liste anschauen zu lassen.

Als ich diese Liste zum ersten Mal las, fand ich sie witzig und vor allem recht passend. Das heißt, ich war mit den unterschiedlichen Deutungen einverstanden und fühlte mich gleichzeitig ein wenig unwohl. Ich hatte nämlich aus nächster Nähe mitbekommen, wie meine deutsche Frau auf Grund dieser besonderen Sprachbarriere in unangenehme Situationen geriet. Das passierte allerdings hauptsächlich im Kontext einer kleinen Kulturblase in Südengland, wo ich herkomme. Dann las ich einen Artikel in einer Zeitung, der Independent, der sich kritisch mit der obigen Liste auseinandersetzte (Link zum Artikel). Mir wurde klar, dass die vermeintliche Sprachbarriere tatsächlich eine Kulturbarriere ist, und dass diese Liste von Unklarheiten eigentlich nur für eine kleine Untermenge aller Englischsprechenden zutrifft. Da ich zufällig zu dieser Minderheit gehöre, brauchte es Zeit und den Independent-Artikel, bis ich dahinterkam, wie wenig die Liste eine allgemeine Gültigkeit besitzt. Beispielsweise zitiert der Artikel einen Akademiker aus Liverpool, England, der darauf aufmerksam macht, dass er und andere Menschen aus Nordengland meistens direkter sind. Sie verwenden kaum kodierte Phrasen wie sie in der Liste zu sehen sind und die nur von Insidern richtig gedeutet werden können. Letztlich aber bestätigt dies nur meine Meinung zur Unzulänglichkeit von Sprache: Selbst BewohnerInnen desselben, kleinen Landes sind sich uneins, wie bestimmte Alltagssätze zu deuten sind.

Und wie sieht es jetzt mit der Sprache der Dichter und Denker aus? Im Vergleich zu Englisch würde ich Deutsch als relativ regelmäßig bezeichnen. Mit Englisch kommen viele Lernende recht schnell recht weit (oder glauben es zu tun), dann verlieren sie sich in den Dickichten der Ausnahmen. Allerdings ist Deutsch gewiss auch nicht frei von seltsamen Formulierungen, wie diese Liste zeigt:

Sticks and stones vs.
words

Who remembers this phrase: Sticks and stones may break my bones, but words can never hurt me? I can’t remember anybody having said it to me in the last 50 or 60 years, so perhaps it’s died out. Which would, I think, be quite a good thing, as I believe it to be perniciously false. Well, obviously it was meant as some kind of sticking plaster for children feeling bad after somebody had called them names, and it has a very tenuous claim to validity in that it might help victims to patch up their self-esteem by enabling them to feel superior to the name-callers.

But seriously, in its essence it is simply fake news. OK, sticks and stones can be powerful and damaging, especially when loaded with explosives and renamed guns and bombs. But words can be incredibly impactful things, too. And very often they are what cause people to pick up the sticks and stones in the first place.

So amazing as language may be, it appears to be quite a liability, too. If you just spend a minute or two pondering over the limitless scope for misunderstanding that lurks in any and all human languages, you might wonder whether its invention by the human species was such a good idea after all. The lives of our pre-language ancestors may have been primitive by contemporary standards, but at least there was less scope for all the confusion and alienation that we now manage through talking to each other and through other forms of language-linked communication. OK, better not go down that path too far, as it would mean that there were no Spielwörter to have fun with. Roughly one fifth of the world’s population uses English regularly as a means of communication, while many more have some command of it and use it more or less readily. Sadly, though, the language itself seems to be particularly prone to generating misunderstandings. I don’t know whether scholars have tried to pin down this characteristic using precise methods, but I do know that there’s plenty of anecdotal evidence available. For many years now, a quaint little list has been circulating on the internet that illustrates some of the pitfalls facing non-native users of English (and probably many native users as well) when it comes to understanding what is said in English and what is actually meant:

Click on the image to display it full size in a new window. Or if you’re using a smartphone or want to save data traffic, here’s an excerpt from the table (first comes the left-hand column ‘What the British say’, then comes ‘What the British mean’, Then comes ‘What others understand’):

“That’s not bad.”
“That’s good.”
“That’s poor.”

“I was a bit disappointed that …”
“I am annoyed that …”
“It doesn’t really matter …”

“Very interesting.”
“That is clearly nonsense.”
“They are impressed.”

When I first saw this list, I found it quite amusing and it rang true – in other words, I had to agree with it, despite a vague feeling of unease. I had first-hand experience of my German wife having (sometimes serious) difficulty getting through this particular language barrier within the milieu to which I introduced her in southern England. Then, after reading a review of the list in the Independent newspaper (https://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/chart-shows-what-british-people-say-what-they-really-mean-and-what-others-understand-a6730046.html), it became clear to me that the language barrier is actually a culture barrier, and this particular list of likely misunderstandings only fully applies to a small subset of English users. As I happen to belong to that subset, it took me some time (and the Independent article) to realize how limited its application is. For instance, the article cites an academic from Liverpool, England, who points out that he and other people from the north of England are generally more direct. They don’t use coded phrases like the ones in the list that can only be properly understood by insiders. But in the end this only goes to prove my point: Even native users of English who live in the same country have difficulty agreeing with each other as to what meaning a certain sentence is actually intended to convey.

German is often considered to be a fairly straightforward language, at least compared with English. Well, yeah, OK, sort of. If you look closer, though, you can also find some quirky examples in German, as this little list also gleaned from the internet shows:

OriginalUngefähre/Wörtliche Übersetzung ins Englische / Approx./Literal translation to English
Sprich RUHIG LAUTER.Speak QUIETLY LOUDER.
KOMM, GEH jetzt.COME (on), GO now.
Irgendwas läuft hier GERADE SCHIEF.Something’s going STRAIGHT CROOKED here.
(‘gerade’ has several different meanings, including both ‘straight’ and ‘now’, so this inconsistency is a little engineered.)
Da ist etwas ORDENTLICH DURCHEINANDER gekommen.Something’s got WELL-ORDERED CONFUSED here.
Er ist EINGEFLEISCHTER VEGETARIER.He’s a confirmed vegetarian.
(The oddness here comes from the word ‘eingefleischt’, with a figurative reference to ‘Fleisch’ = ‘flesh’, which in this context simply indicates a close association with one’s body and being.)
Du musst dich LANGSAM BEEILEN.You’d better SLOWLY start HURRYING UP.
Deine Frisur ist ganz SCHÖN HÄSSLICH.Your hairdo is PRETTY UGLY.
Der Film ist SCHRECKLICH LUSTIG.The film is DREADFULLY FUNNY.
Sie ist wirklich FURCHTBAR LIEB.She is really FRIGHTFULLY NICE.
Interessanterweise funktionieren die letzten 3 Beispiele genauso auf Englisch.Interestingly enough, these last 3 examples also work in English.

—ooo—

Manchmal können Wörter auch physisch schmerzhaft sein >

Warnung. Vorsichtig! Nicht fallen lassen! Gewicht: 76 Pfund / Warning. Handle with care. Do not drop. Weight: 76 pounds.

Sometimes words can be physically painful, too
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  3. I think the vowel change is a common indicator for strong verbs in both languages (as well as Dutch and…

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