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Es muss nicht immer Times New Roman sein

Aus übersetzerischer Sicht bin ich ein Allesfresser – im Prinzip übersetze ich alles, was sich bewegt, sozusagen. Daher habe ich im Laufe einiger Jahrzehnte eine große Vielfalt an Texten gesehen, mit sehr unterschiedlichen Qualitäten der Ausgangstexte. Einige waren recht langweilig, einige hochinteressant, aber selbst bei inhaltlich langweiligen Texten kann man meistens bei der Suche nach der optimalen Übertragung des Inhalts eine gewisse Befriedigung erfahren. (Man kann sich dann auch einbilden, die Qualität des Zieltexts sei besser als die des Quelltexts.) Daher macht der Job meist Spaß, manchmal auch viel Spaß. Zur Kategorie der hochinteressanten Texte gehörte ohne Zweifel ein Auftrag, einen Kursus in Grafikdesign zu übersetzen. Bei den interessanten Aufträgen gibt es übrigens einen gewissen Fallstrick, den es zu vermeiden gilt: Du musst aufpassen, dass dich die Lektüre des Inhalts nicht von den übersetzerischen Anforderungen ablenkt.

Aber zurück zum Grafikdesign: Ich meine, weder das Talent noch die Neigung zu haben, ein guter Grafikdesigner zu sein, es ist jedoch eines von vielen Schaffensgebieten, die ich faszinierend finde. Daher war es erfreulich, mehr über das Thema zu erfahren und dabei Geld zu verdienen.

Vieles im Grafikdesign hat mit Wörtern zu tun. Dabei geht es nicht in erster Linie um den Inhalt, der durch diese Wörter transportiert wird, sondern hauptsächlich um die Art und Weise, wie dieser Inhalt dargestellt werden soll (auch wenn diese Aspekte selbstverständlich miteinander in Beziehung stehen). Zu jenem Zeitpunkt, als ich den Grafikdesign-Kursus übersetzte, war der Lexcentric Blog noch ganz weit weg, dennoch fand der Lexzentriker in mir gerade diejenigen Teile des Kurses am interessantesten, die mit Wörtern und Textdarstellung zu tun hatten. Im Kursus gab es erst einen kurzen Abriss über die Entstehung verschiedener Schriftsysteme, dann wurden hauptsächlich Entwicklungen im Grafikdesign in westlichen Kulturkreisen unter die Lupe genommen.

Allein diese Geschichte war sehr lesenswert: Wieder einmal bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass ein selbstverständlicher Teil meines Daseins, nämlich die Fähigkeiten zu lesen und zu schreiben, alles andere als selbstverständlich ist. Mir wurde klar, dass die Beherrschung der Schriftzeichen, gemessen an der Gesamtdauer des menschlichen Abenteuers, eine verhältnismäßig neue Errungenschaft darstellt – und dass sie als Entwicklungsmeilenstein durchaus mit der Erfindung des Rads und des Internets konkurrieren kann.

In einem Punkt merkte ich, dass meine Wissenslücken weit umfangreicher waren als mein vorhandenes Wissen. Es ging um das Gebiet der Schriftfamilien und Schriftarten. Früher schon hatte ich eine vage Ahnung, dass Gutenbergs Erfindung der individuellen, beweglichen Buchstaben historisch bedeutsam war – mir waren aber weder die gigantische Tragweite dieser Entwicklung, noch die Vielfalt, die Feinheiten und Bedeutsamkeit der Typografie klar, sprich, des Handwerks, das daraus resultierte. Die Folgen für die Weltgeschichte waren vielfältig und dramatisch.

Diese Tatsachen gehen in Zeiten der digitalen Informationsverbreitung schnell unter. Heute kann jeder mit wenigen Handgriffen am PC ein Schriftstück erstellen und dabei zwischen tausenden von Schriftarten wählen, sowohl kostenlosen als auch kostenpflichtigen. Was man dabei schnell übersieht: Die Erstellung einer neuen Schriftart, auch eine digitale, ist eine zeitintensive Tätigkeit, die viel Können in Sachen Design, Ästhetik und Genauigkeit verlangt.

Dies ist ein breites Feld, ich möchte an dieser Stelle aber ein anderes beackern. Neben den sorgfältig entworfenen, drucktauglichen Schriftarten, die einem in der Zeitung oder am PC begegnen, gibt es unzählige andere Möglichkeiten, Buchstaben, Wörter und Texte darzustellen.

Beginnen wir mit der Handschrift, die bekanntlich so individuell ist wie der Mensch, der das Schreiben mit der Hand (noch) praktiziert. (In meiner Jugend meinte mein Vater, dass meine Handschrift ihn an den Gang einer besoffenen Spinne erinnerte, ich glaube aber, die Spinne war irgendwann wieder halbwegs nüchtern.) Als nächste „Handschrift“ fallen mir die klassischen Botschaften wie „S O S“ oder „H E L P“ ein, die Schiffbrüchige aus allen möglichen Materialien zusammenbasteln (heute hauptsächlich Kunststoff, fürchte ich).

Mehrere Beispiele in meinen ‘Spielwörter’ Büchern wurden durch solche Gedanken inspiriert. Hier sind zwei Beispiele aus dem ersten Band:

Das Wort „Öl“ in Öl geschrieben.

Das Wort „Insel“, geschrieben mit Palmen und Steinen.

Wenn ich jetzt anfange, alle Beispiele aufzuzählen, wie man Buchstaben und Wörter schreiben kann, brauche ich wahrscheinlich ein paar Monate, bis ich durch bin. Vielleicht hast du, liebe Leserin, lieber Leser, Lust, deine Ideen in die Kommentare zu schreiben oder mir per Mail zu schicken: info@spielwoerter.eu.

An dieser Stelle möchte ich selbst keine konkreten Beispiele zeigen (na ja, zwei kommen noch), sondern ein paar Ideen zur Vergrößerung des Spielfelds nennen. Wörter können, wie oben angedeutet, aus praktisch jedem Material „geschrieben“ werden (sogar aus gasförmigem Material). In vielen Fällen jedoch meinen wir, Buchstaben zu sehen, obwohl diese nicht materieller Art sind. Beispielsweise sind die Buchstaben, die ich gerade mit Hilfe der Tastatur auf den Bildschirm zaubere, genaugenommen Lichtspiele. Was ich sehe, sieht gedruckten Buchstaben erstaunlich ähnlich, es ist aber ganz was anderes. Da diese „Dinger“ auch noch schwarz auf einem weißen Hintergrund erscheinen, sind die einzelnen Buchstaben nicht mal aus Licht geschaffen. Sie sind schwarz, bestehen also aus Nicht-Licht, sozusagen. Man sieht sie nicht, weil sie da sind, sondern nur deswegen, weil alles um sie herum aus sichtbarem, weißem Licht besteht. (Zugegeben, hier sind sie blau. Aber im ersten Entwurf waren sie schwarz!)

So wie es unzählige Möglichkeiten gibt, Buchstaben aus festem Material zu schaffen, gibt es also auch unzählige Möglichkeiten, Buchstaben aus Nicht-Materie zu schaffen. Dann gibt es aber eine noch skurrilere Kategorie: Buchstaben, die nicht mal aus Buchstaben sind, und dennoch ist ein Schriftzug lesbar, der mit diesen Nicht-Buchstaben geschrieben wird. (Spoiler-Alarm für Leute, die mein Buch „Spielwörter” besitzen – es sind einige Beispiele von solchen nicht-materiellen Buchstaben sowie Nicht-Buchstaben drin.)

Im nächsten Artikel zeige ich Beispiele von den verschiedenen Varianten. Wie gesagt – wenn dir etwas einfällt oder bereits bekannt ist, was dazu passt – her damit! Bitte eine Beschreibung oder eine Illustration an info@spielwoerter.eu schicken.

Am Ende der englischsprachigen Spalte siehst du noch ein nettes Beispiel eines Schriftzugs aus Materie.

Danach kommt ein philosophisches Rätsel: Bestehen die Buchstaben aus Metall oder aus Luft? Oder aus beiden?

Jetzt seid ihr dran! 😊

It doesn’t always have to be Times New Roman

As an omnivore (from the translation point of view), I’ve come across many different types of text, many different grades of quality in the source texts, and the content has ranged from dead boring to highly interesting. Happily, even when the content is boring there’s usually still a degree of satisfaction to be had in finding the most appropriate rendering in the target language (and secretly thinking that the translation is better than the original). At the upper end of that interesting/boring spectrum was an assignment to translate a graphic design course. I think I have neither the talent nor the inclination to become a good graphic designer, but it’s one of many subject areas that I find fascinating in various ways. So it was great to find out much more about it than I really needed to and get paid for it. Incidentally, that’s one of the tricky aspects of translation assignments that you find interesting – then you have to make sure your interest in the subject matter doesn’t take your mind off the translation requirements.

A big chunk of graphic design has to do with words – not so much in terms of the message being conveyed through the words, but rather in the way that content is presented (whereby these two aspects are, of course, closely connected). So even though the Lexcentric Blog was not even a twinkle in my eye at the time, I found the text-related parts of the graphic design course especially intriguing from the lexcentric point of view. The course included a brief history of the way various writing systems developed, before homing in on specifically western aspects. That story alone was well worth reading about – yet another example of something that I had taken completely for granted most of my life without giving much thought to its deeper significance. The course opened my eyes to the fact that writing is a (relatively) recent invention that can compete with the inventions of the wheel and the internet in terms of its capacity to revolutionize society. As I’ve mentioned before, I love being confronted with experiences that shake up my lazy assumptions and expand my horizons a little more. Well, as long as the experiences aren’t too unsettling.

One specific thing that I had little idea about was the craft of creating typefaces and fonts. (In case you’re not sure, as I wasn’t before I translated the course: A typeface is the basic concept of a given set of fonts that share certain fundamental characteristics, but vary in terms of size, weight (bold, light etc.), style (regular, italic etc.) and so forth.) It may previously have stuck somewhere in my recollection that Gutenberg’s idea to cast individual letters from molten metal was a stroke of genius, but I had very little grasp of what that really means in practice in terms of design and craftsmanship, and especially how profound its effects were at the time – it ushered in a veritable explosion of knowledge dissemination that dramatically changed world history.

These days, of course, there are thousands and thousands of fonts either free of charge or usable for a fee, and setting up a page of writing with one or more of them is now ridiculously easy compared with just a few decades ago. It turns out, though, that actually creating any given typeface, even in the age of computers, is still a very intricate business involving a lot of skill in design, aesthetics and attention to detail.

Heading in another direction, away from the strict regularity of defined typefaces, I find it fascinating to see all the ad hoc ways people have found to represent letters.

Let’s start with handwriting, which is well known to be as individual as the people who (still) practise it. In earlier days my father said my handwriting reminded him of the wanderings of a drunken spider. I think it then sobered up a bit after a few years. Another kind of ‘handwriting’ can be seen in the classic ‘S O S’ or ‘H E L P’ constructed by castaways of whatever materials that happen to be available on their desert island. (These days, unfortunately, mainly plastic garbage.)

Several of the pages in my ‘Spielwörter’ books were inspired by this train of thought. Here are two examples from the first volume:

This one is supposed to represent the German word for ‘oil’, namely ‘Öl’, written in oil.

This is the German for ‘island’, namely ‘INSEL’, written in palm trees and rocks.

The article could get out of hand if I really get going with all the different possibilities, so I’ll sign off with some ideas rather than actual examples. Well, there are two examples at the end. And maybe you, dear readers, will feel the urge to come up with more ideas and/or turn ideas into actual examples and then contribute them for the next article, e.g. via the comments or by sending me graphics: info@spielwoerter.eu.

Here are the ideas: Words can be made using pretty much any kind of material, see examples above. But in fact many words that we read these days are not really material in any sense: The words that appear as I type this article are a trick of the light, so to speak. I’m looking at a computer screen that is producing thousands of points of light, and the arrangement of those points produces a result that looks uncannily like printed letters. But they’re not. Even more bizarre, as I’m typing black letters onto a white screen, the letters are not even made of radiated light: They are made of non-light, i.e. darkness surrounded by the light bits where the screen is white. (OK, OK, here in the blog they’re blue. But they were black when I drafted the text!)

There’s a whole category of letters that are not made of something, but rather made of a not something. Any idea what I mean? And then there are letters that are seriously not recognizable letters at all, and yet text made out of these … er … items can more or less easily be read just as this text can be read. (Spoiler for anyone who has my book ‘Spielwörter’ – you’ll find examples of both ‘not-something’ letters as well as ‘non-letter’ letters in it.)

And in the next article I’ll include more examples, hopefully including some that you’ve contributed! As already mentioned, please send your ideas (as a description or an illustration) to info@spielwoerter.eu.

Here’s a (fairly) straightforward example of letters made of something tangible*:

And here’s a philosophical question: Are these letters made of metal or of air? Or both?

Over to you 😊

* Image credit: Topiary by Nicky Fraser; photograph by Danny Beath

—ooo—

  1. At school we almost always used Comic Sans font as the a and g were conventional. But I’ve just seen…

  2. With a vaguely lexcentric/Article 8 1/2 connection reference to our grandmother reminded me that throughout our childhood she was Granny…