Beitrag 5 / Article 5

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Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie du lernst, und darüber, dass andere Menschen vielleicht anders lernen?

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Frage für andere vielleicht sinnlos wirkt, weil es für sie einfach offensichtlich ist, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich lernen. Klar ist aber, dass ich längst den Lehrerberuf an den Nagel gehängt hatte, bevor mir diese Tatsache wirklich bewusst wurde. Als ich meine deutsche Freundin näher kennenlernte (siehe Beitrag 4), merkten wir, dass wir uns radikal unterschiedlicher Lernstrategien bedienten. Vielleicht hat es während meiner Lehrerausbildung den einen oder anderen Hinweis in diese Richtung gegeben (um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht mehr, weil ich während der Ausbildung mehr Badminton gespielt habe als Vorlesungen zu besuchen), viel war es aber bestimmt nicht. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, etwaige Theorien über unterschiedliche Lernstrategien bewusst angewendet zu haben und hoffe nur, dass ich wenigstens instinktiv auf die unterschiedlichen Lernbedürfnisse meiner SchülerInnen geachtet habe.

Der vorhergehende Absatz mag vielleicht wie eine meiner Tangenten (siehe vorige Artikel) aussehen, es gibt jedoch einen direkten Bezug zur Lexzentrizität: Die Verschiedenheit der Lernstrategien wurde mir umso bewusster, je mehr Deutsch ich lernte. In der wirklichen Welt (sprich, außerhalb der Schule), stellte ich erstaunt fest, dass ich eine Fremdsprache einigermaßen leicht lernen konnte – verglichen mit meinen Erfahrungen mit Französisch ging es auch überraschend schnell. Dabei sollte ich erwähnen, dass, als ich 1980 in Deutschland ankam, die Umstände für mich denkbar günstig waren. Um nur einen dieser Umstände zu nennen: Ich war mit einer Sprachenlehrerin liiert, die gerade ein Schuljahr damit verbracht hatte, das Deutschlernen und die damit verbundenen Tücken aus der Sicht von englischen SchülerInnen zu beobachten. Daher habe ich volles Verständnis für jede(n), die/der ohne solche Vorteile mit der Grammatik, der Aussprache, der Rechtschreibung usw. einer Fremdsprache zu kämpfen hat. Schließlich kenne ich diese Problematik nach wie vor selbst in Bezug auf die französische Sprache, von Spanisch ganz zu schweigen.

Dies war aber nicht die einzige Überraschung. Ich nahm mit Erstaunen wahr, dass meine Freundin Sprachen auf ganz andere Weise lernt als ich. Nicht nur, dass sie 9 Jahre Latein und 6 Jahre Altgriechisch in der Schule überlebte, sie findet systematisches Lernen tatsächlich hilfreich. Sie besitzt eine Art fotografisches Gedächtnis, das es ihr ermöglicht, sich die Position einzelner Vokabeln auf einer Buchseite zu merken. Sie hat so etwas wie kleine Schubladen im Gehirn entwickelt, in die sie Verbformen der verschiedenen Zeiten einsortiert, und sie lässt sich von Ungeheuern wie Modalverben, indirekten Objekten, Adverbialsätzen und dergleichen nicht abschrecken. Für mich sind solche Gebilde wie Irrlichter, die aus den Sprachsümpfen emporsteigen. Wenn ich ihnen begegne, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, und für Sekundenbruchteile habe ich das Gefühl, sie verstanden zu haben. Dann sind sie wieder fort – hüpfend und tänzelnd verlassen sie wieder meine Großhirnrinde – bis zum nächsten Mal.

Diese andere Art zu lernen war für mich schwer begreiflich, es stellte meine über viele Jahre gesammelten Annahmen und Vorurteile in Bezug aufs Sprachenlernen gründlich auf den Kopf. Dann folgte aber schon die nächste Überraschung: Mir wurde klar, dass mich meine unsystematische Art zu lernen nicht davon abhielt, Deutsch schnell und effektiv zu lernen. Im Gegenteil, es war in der Schule wohl das Ungleichgewicht zugunsten von systematischem Lernen gewesen, das mich nicht nur am Französischlernen hinderte, sondern mir auch noch ein handfestes Lerntrauma einbrockte. Mir wurde endlich klar, dass diese Annahme, es gäbe nur eine Art, Sprachen zu lernen, völlig absurd sein musste. Genauso wie es absurd wäre, zu glauben, dass alle Pflanzenarten unter denselben Bedingungen von Bodenbeschaffenheit, pH-Wert, Feuchtigkeit, Temperatur usw. gleichermaßen gedeihen könnten. Probiere das mal mit Kakteen und Seerosen aus und schaue dann, was passiert.

Da war ich also, von Deutschen und deren Sprache umgeben, und ich kann nur vermuten, dass ich die Sprache über die Haut absorbierte. Oder war es eine Art gutartige Ansteckung? Meine Freundin weihte mich pflichtbewusst in diverse okkulte Geheimnisse ein, wie zum Beispiel, dass deutsche Garagen weiblich (die Garage), während französische Garagen männlich sind (le garage), oder auch dass die deutsche Sprache es weiterhin für notwendig erachtet, mit grammatikalischen Fällen (die ich aus dem Englischen nicht kannte) herumzukaspern. Wir erkannten aber beide, dass, ungeachtet vieler Gemeinsamkeiten, unsere Lernstrategien offensichtlich unterschiedlichen Planeten entstammen. Na ja, genaugenommen hat meine Freundin/Frau zwei Heimatplaneten: Sie kann sowohl systematisch als auch unsystematisch lernen.

Diese Entdeckung kam für uns beide recht unerwartet. Heute ist mir die Erkenntnis der unterschiedlichen Lernarten selbstverständlich, es hat aber lange gedauert, bis aus den ersten unkoordinierten Überlegungen dazu eine Theorie wurde, nämlich meine Theorie des fokussierten und unfokussierten Lernens. Auf Englisch sage ich dazu „focused and fuzzy learning“. Inzwischen ist mir klar, dass wir alle in der Lage sind, uns unsystematisch Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen – schließlich hatten wir unmittelbar nach der Geburt praktisch keine andere Option, und das war die Phase, in der wir am schnellsten und effektivsten gelernt haben. Das Potential zum fokussierten, sprich systematischen Lernen haben vermutlich auch alle, allerdings sind solche Potentiale in der Bevölkerung sehr unterschiedlich verteilt. Ein großes Problem sehe ich darin, dass Lehrpläne generell viel zu sehr auf fokussiertes Lernen (mit entsprechend fokussierter Notengebung) setzen. Schlechte Aussichten für alle, die von Haus aus eher unfokussiert / fuzzy lernen. Zu dieser Gruppe gehöre offensichtlich ich, und ich habe das Gefühl, Teil einer beachtlichen Mehrheit zu sein.

Es gibt dazu ein persönliches Beispiel aus meinem eigenen Werdegang. (Dieser Werdegang ist übrigens insgesamt eher von der fuzzy Sorte.) Nach vielen Jahren in Deutschland habe ich mich als Übersetzer qualifiziert, pikanterweise ohne je einen ernstzunehmenden Deutschkurs oder gar ein Studium absolviert zu haben. Noch einige Jahre später fiel mir auf, dass eine anfangs lose Bekanntschaft mit der niederländischen Sprache unbemerkt ein Niveau erreicht hatte, das es mir ermöglichte, auch Übersetzungen aus dem Niederländischen ins Englische anbieten zu können. Tatsächlich hatte ich irgendwann ein paar Wochen lang einen Niederländischkurs bei der VHS belegt, was sicher half, allerdings habe ich mir das allermeiste durch „fuzzy learning” angeeignet. Wenn ich an meine Erfahrungen mit Sprachen in der Schule zurückblicke, bin ich manchmal etwas verunsichert, denn meine Niederländischkenntnisse sind sehr ungleich verteilt: Mangels Übung kann ich mich kaum in dieser Sprache unterhalten, und ich würde niemals auf den Gedanken kommen, aus dem Englischen ins Niederländische zu übersetzen. Ich bin mir jedoch sicher, dass ich gute Übersetzungen aus dem Niederländischen ins Englische anfertigen kann.

Und noch ein (vorläufig) letzter Hieb gegen das Bildungssystem: Meine Lehrer (Lehrerinnen gab es damals in der Schule nicht) waren, wie sicher fast alle heutigen LehrerInnen, ernsthaft bemüht, mir alle Werkzeuge und Fähigkeiten für mein späteres Leben zu vermitteln. Leider erreichten sie wegen der Einschränkungen und Unzulänglichkeiten des Rahmens, innerhalb dessen sie arbeiten mussten, in vielen Aspekten genau das Gegenteil. Nun ja, ich kann wenigstens sagen, dass mein Werdegang danach durchaus interessant war, wenngleich manchmal ziemlich chaotisch. Aber erst sehr spät ist es meinem inneren Lotsen gelungen, mich zu der Erkenntnis zu bringen, dass ich viel lieber mit Wörtern spiele als mit Zahlen.

Wie sieht es bei dir aus? Wie stellst du dir deine eigene (ideale) Lernumgebung vor – hinter einem Schreibtisch, auf einem Baum oder intensiv ein Buch lesend, einen Käfer betrachtend, ein iPhone bedienend? Lernst du lieber allein, in einer Gruppe, mit oder ohne Lernbegleiter? Brauchst du Stille und Ruhe oder musst du dich beim Lernen (mit Musik?) bewegen? Sollen dir andere sagen oder empfehlen, was du lernen sollst, oder findest du das lieber selbst heraus – oder beides? Hat deine Lernerfahrung unterm Strich zu mehr Selbstsicherheit, Eigenverantwortung und Befriedigung geführt, oder eher dazu, die Meinungen anderer Leute für wichtiger als die eigenen zu halten? Lernst du lieber fokussiert oder „fuzzy“, das heißt unsystematisch – oder mal so, mal so? Hast du dich je gefragt, wohin dich deine ureigene Neugierde ziehen möchte (oder gern gezogen hätte) – raus in die Natur, auf Menschenstudie, zum Malen, Computerspielen, Sternegucken, Dinge herstellen, mit Tieren zusammen sein, (deine eigenen) Grenzen austesten, reisen, lehren, nachdenken, tun … ?

Mich würden deine Gedanken dazu sehr interessieren.

—ooo—

Have you ever thought about how you learn, and that other people may learn in other ways?

I’m not sure whether this question is pointless, because for all I know it may be obvious to almost everyone else that people learn in different ways. But I do know that I only began to grasp what this fact really means when I had already left teaching and for the first time became consciously aware of someone close to me whose learning strategies are radically different from mine (that was my German girlfriend, see Article 4). It’s just possible that there was some mention of people learning in different ways during my teacher training, but even though I paid more attention to playing badminton than to what my lecturers had to say at the time, I still doubt that there actually was. At any rate, I can’t remember knowingly applying any knowledge of that kind to my teaching, and only hope that I did at least subconsciously manage to take some account of my pupils’ different learning strategies and preferences.

The previous paragraph may look like one of my tangents (see previous articles), but there is a direct connection with lexcentricity: The way I found out about other people’s learning strategies was through learning German and not through learning about teaching. In the real world, i.e. not in school, I suddenly found myself able to pick up the language fairly easily and, in comparison with my experience with French, very quickly. I should reiterate that my circumstances in Germany helped a lot (mainly being hitched up with a language teacher who had just spent a year finding out where the pitfalls for English-speaking learners of German are), so I still have plenty of sympathy for anyone whose circumstances may be less favourable and who struggles with any or all of grammar, pronunciation, spelling etc. – in fact, I have plenty of sympathy with myself because in French I continue to struggle in all those areas, and as far as Spanish is concerned nothing seems to stick.

One of the biggest surprises, though, was to find out that my girlfriend had a completely different approach to learning languages. She really and truly finds a systematic approach beneficial, perhaps because she had 9 years of Latin and 6 years of Ancient Greek in school (and lived to tell the tale – I don’t think I would have survived that). She has a kind of photographic memory that helps her remember where new vocabulary items are on the page, she has little mental boxes for all the tenses and she can even identify the likes of modal verbs, indirect objects, adverbial clauses and so on when she sees them. For me, these things are like will-o-the-wisps that float up out of the language swamp; I stare hard at them and for a brief moment I feel I’ve understood them, finally plumbed their depths and got the measure of them. The next second, though, they’re off again, dancing away out of my frontal lobe until the next time we meet.

The next surprise in this little series was the realization that my inability to learn languages systematically was not, in fact, a hindrance. On the contrary, school’s insistence that languages have to be learned systematically was precisely the obstacle that had not only prevented me from learning French well, but traumatized me to boot. Nowadays I realize that it’s absurd to imagine that there could be a one-size-fits-all solution to learning languages, or anything else for that matter. It’s like assuming that all plant species will grow well on a single, standardized substrate with a standard pH value, standard degree of humidity, at a standard temperature, with a standard set of nutrients etc. Try doing that with cactuses and water lilies and see what happens.

So there I was, immersed in German, and I can only assume that I absorbed it through my skin. Or was it like some kind of benign infection? My girlfriend dutifully introduced me to various mysteries, such as that German garages are feminine (die Garage), whereas French garages are masculine (le garage), and that German still feels the need to complicate things immensely by using cases, of which more later, but we both soon realized that, however much we may have in common in other areas, our language learning strategies come from different planets. Well, to be accurate: She can learn both systematically as well as otherwise.

This discovery was quite an eye-opener for both of us. It now seems over-obvious to me, but it took a long time for me to develop this insight into something of a theory, one that I’ve called my ‘theory of focused and fuzzy learning’. I’m now firmly of the persuasion that we are all capable of unsystematic, learning-by-doing acquisition of knowledge and skills (which is universally how we learned our mother tongue and all the other very early years stuff, and that was the phase in which we learned a huge amount in a very short space of time), and we also have at least a potential capacity for systematic learning. I’ve no clear idea how that capacity is distributed in the population, and how much it can be trained and directed in an individual. What I’m certain of, though, is that the concept of focused learning has been adopted far too widely into school curricula at the expense of our capacities for fuzzy learning. And: I definitely belong at the fuzzy end of the focused-fuzzy spectrum.

Here’s an example: Much later on, long after I had qualified as a translator (without ever having studied the discipline formally), I found that a nodding acquaintance with Dutch had matured enough for me to be able to offer professional translations from Dutch into English. In contrast to German, I did indeed once attend an evening school course in Dutch, and I’m sure that helped me along a bit, but otherwise it was ‘fuzzy learning’ all the way. Harking back to my school experience of language learning, I’m tempted to feel uneasy about this, because although I take money to translate Dutch into English, I can’t speak Dutch fluently. I can even less follow a conversation, and I certainly wouldn’t attempt to translate into Dutch. But I know I can provide good quality translations into English within the scope of my specialist fields.

Final dig at the education system (for the moment): Without for a second questioning the sincere intention of my teachers to provide me with tools and skills for my future life, the constraints of the system within which they operated led to the exact opposite: It’s been an interesting and very erratic journey, but now at the other end of my life I’ve finally understood where my inner pilot has been trying to get me to, namely playing around with words rather than figures.

So what about you? How do you see your own (ideal) learning environment – behind a desk, climbing a tree or poring over a book/iPhone/beetle/VW-Beetle…? Do you like learning on your own or in a group, with a teacher/tutor or without? Do you need to sit still or move around, or sometimes this and sometimes that? With or without music? Do you prefer to be told/guided what to learn or to pursue your interests on your own – or a combination of those? Looking back, do you think your learning experience led you to more self-assurance, autonomy and satisfaction, or to doing things because others wanted you to or thought those things were best for you (or a combination of both elements)? Are you a focused learner or a fuzzy one – or both? Have you ever asked yourself, or has anyone else asked you, where your basic curiosity would like to pull you (or would like to have pulled you) – exploring nature, people, painting, computing, gaming, stargazing, traveling, making things, being with animals, stretching (your own) limits, teaching, thinking, doing … ?

I’d love to hear your comments on this.

—ooo—

Oops, here we are again, already at the end of the English article and the German one still has a way to go.

Well, why not fill the space with remarks about space fillers?

In graphic design, the situation often arises in which the basic layout of some item (a poster, pamphlet, advertisement, whatever) has been broadly decided upon, but the textual part is not ready or unavailable for some reason. While translating a graphic design course (of which more in a later article), I was intrigued to learn that there is a sizeable graphic design niche whose sole purpose is to provide dummy text that can be used to provide a neutral body of text to enable a reader (the graphic designer herself or himself, a client, a colleague etc.) to get a good overall impression of the draft.

You may well have come across the most well-known dummy text; it’s the one that looks like Latin, but is complete nonsense:

“Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit, sed do eiusmod tempor incididunt ut labore et dolore magna aliqua. Ut enim ad minim veniam, quis nostrud exercitation ullamco laboris nisi ut aliquip ex ea commodo consequat. Duis aute irure dolor in reprehenderit in voluptate velit esse cillum dolore eu fugiat nulla pariatur. Excepteur sint occaecat cupidatat non proident, sunt in culpa qui officia deserunt mollit anim id est laborum.”

I couldn’t resist asking an AI-Bot to translate the above, but it refused to be tricked and recognized the passage as dummy text.

Anyway, as you can imagine, the internet now has lots of dummy text generators for specific purposes. Try googling “lorem ipsum” and see what you get.

—ooo—



Unbekannte Herkunft der Grafik – bitte Bescheid geben, wenn du darüber Informationen hast.

Cartoon below from unknown source – please let me know if you have more information about it.

Unser Bildungssystem

Our Education System

„Alle Menschen sind Genies. Wenn du jedoch einen Fisch nach seiner Fähigkeit beurteilst, auf einen Baum klettern zu können, wird er sein ganzes Leben lang glauben, blöd zu sein.“

Albert Einstein

“Everybody is a genius. But if you judge a fish by its ability to climb a tree, it will live its whole life believing that it is stupid.”

Albert Einstein

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