Beitrag 4 / Article 4

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Wie oft muss man tangential vom Kurs abkommen, um zu einem lexzentrischen Blog zu gelangen?

Hättest du mich vor einem halben Jahrhundert (während ich mich in Bristol, England, durch ein Studium quälte) gefragt, wo ich am anderen Ende meines Lebens wohl sein würde, wäre ich ganz bestimmt nicht auf die tatsächlich zutreffende Antwort gekommen: dass ich ans Ufer eines bayerischen Sees gespült sein würde. Nun, ich habe schon angedeutet, dass ich oft abschweife, das gilt wohl auch für meinen Lebenslauf. Im Nachhinein bin ich selbst davon beeindruckt, wie oft sich meine Ansichten teilweise grundlegend geändert haben. Der Spross eines ewig und automatisch Tory-wählenden Ehepaars ist jetzt hoffnungslos „woke“, sprich links- und grünlastig, der besorgte, weil halbherzige Christ hegt heute eine gehörige Skepsis gegenüber Religion im Allgemeinen (dem Buddhismus, der genaugenommen keine Religion ist, kann ich einiges abgewinnen, aber auch da gibt es einiges, was mich nicht überzeugt). Der Brite und Engländer hat inzwischen länger in anderen Ländern gelebt als auf der Insel. Und schließlich dämmerte es dem Menschen, der Mathematik nur deswegen studierte, weil er gute Noten in der Schule schrieb (und dann sogar Mathelehrer wurde), dass er sich im Grunde genommen eher wenig dafür interessiert, und eigentlich lieber mit Wörtern herumjongliert. Das alles hat ziemlich lange gedauert, dabei hatte ich oft Glück, und der Weg war mit vielen Tangenten versehen (siehe Beitrag 2). Ein Beispiel dafür ist meine Entscheidung, recht unvermittelt Großbritannien zu verlassen und ein Land aufzusuchen, über das ich sehr wenig wusste.

Wenn diese Sinneswandel etwas gemeinsam haben, dann vielleicht dieses: Offensichtlich ging es darum, eher unbewusst das meiste dessen, was ich in der Schule erlebt hatte, nach und nach über Bord zu werfen. (Im Englischen gibt es dafür den treffenden Begriff „unlearning“.) Sicher ging während dieses Prozesses auch noch jede Menge gelernte Kultur mit über Bord, die nur mittelbar mit der Schule zusammenhängt – dennoch war und ist die Schule dermaßen dominant, dass ich ihr gern die Hauptschuld daran gebe, dass die meisten Leute jahrzehntelang damit beschäftigt sind, die negativen Folgen von Schule irgendwie zu überwinden.

Huch, da haben wir schon wieder eine dieser Tangenten: Ich kann nicht behaupten, dass diesem Blog ein ernstzunehmender Plan zugrunde liegt, dennoch hatte ich ehrlich gesagt erwartet, dass das Demolieren des Schulsystems erst viel später kommen würde. Schnell zur Klarstellung: Ich bin nicht prinzipiell gegen Schulen (war sogar Gründungsmitglied für eine) – meine aber, dass die Schullandschaft im Allgemeinen arg reformbedürftig ist.

Ich probiere mal eine Ablenkung von dieser Ablenkung: Vielleicht kann ich vorerst das Schulsystem in Ruhe lassen, indem ich mich auf etwas konzentriere, was für den Lexcentrismus direkt relevant ist: War ich in der Schule eher in Englisch oder in Mathe „besser“? Meine Noten waren in beiden Fächern recht gut. Im Klartext heißt das, dass es mir in beiden Fächern gelang, die Erwartungen anderer Leute zu erfüllen. Jedoch kann ich mich nicht an eine echte innere Motivation erinnern, die einer Liebe für das eine oder das andere Fach entsprang. Vielleicht hatte der Entschluss, Mathematik zu studieren, so irrig er auch gewesen sein mag, letztlich doch einen positiven Effekt: Er hinderte mich daran, einen noch größeren Fehler zu begehen, nämlich etwas Sprachen-relevantes zu studieren. Im Rückblick habe ich das Gefühl, dass mein vorhandenes, intrinsisches Interesse an Sprachen nur darauf wartete, dass ein nerv- und geistestötender Bildungsweg zu Ende kam, um sich vorsichtig aus der Deckung zu wagen. Vordergründig hatte mich wohl davon überzeugt, dass ich niemals eine Fremdsprache wirklich beherrschen würde (katastrophaler Latein- und Französischunterricht halfen dabei), und dass Englisch nichts anderes war als ein Vehikel, um gute Noten zu schreiben.

In späteren Beiträgen werde ich wahrscheinlich seitenweise Theorien über Bildungssysteme ausbreiten, um zu erklären, warum es zu diesen Verwirrungen kam. Momentan reicht es vollkommen, zu berichten, dass ich noch zehn Jahre nach der Schule einen mathematischen Holzweg einschlug, bis mich eine Zauberin erlöste. Genaugenommen war es meine zukünftige und heutige Frau. Wir lernten uns kennen, als ich noch dabei war, SchülerInnen zu überzeugen, dass man im späteren Leben unbedingt Mathematikkenntnisse braucht, während meine eigenen Zweifel diesbezüglich immer größer und lauter wurden. Getarnt als Fremdsprachenassistentin verbrachte die Zauberin ein Jahr in der Stadt, in der ich als Lehrer arbeitete, und als dieses Jahr zu Ende ging, wollte sie in Deutschland ihr Referendariat fürs Lehramt antreten. Nun ja, dachte ich, warum nicht etwas vollkommen Neues probieren, kündigte und ging mit ihr mit. Nach dem Motto: Mal schauen, wie es ist, in einem fremden Land zu leben.

Das muss der Augenblick gewesen sein, auf den meine brachliegenden Fremdsprachenzentren gewartet hatten. Mit zehn Jahren Abstand zur (jedenfalls für mich) recht ungeeigneten Schulumgebung, tauchte ich in eine neue Sprachlandschaft ein. Durch glückliche Umstände war ich nach einigen Monaten in Deutschland sprachlich recht gut unterwegs. Das hat mich wirklich überrascht. Bis heute spreche ich Französisch nur holperig, und ich kann immer noch nicht genau sagen, ob diese unterschiedlichen Spracherfahrungen durch eine mysteriöse Zugneigung für germanische Sprachen begründet sind, oder ob die Schule mein Französisch aktiv sabotiert hat. Geholfen hat sie aber ganz sicher nicht.

Was meinst du – gibt es für manche Menschen – oder sogar alle – so etwas wie eine besondere Neigung oder Veranlagung für bestimmte Sprachrichtungen? Meine eigene Komfortzone scheint germanisch geprägt zu sein, jedoch weiß ich nicht (wie oben angedeutet), ob ich diese Neigung mitgebracht habe, oder ob sie sich später im Laufe meines Lebens entwickelt hat. Beides, vielleicht? Aus einem merkwürdigen Grund neige ich ein wenig zur ersten Theorie. Es ist nämlich so, dass es bei mir in Bezug auf Spanisch eine Art „Anti-Komfortzone“ zu geben scheint. Meines Wissens schlummert in mir keine besondere Abneigung gegen die Spanier oder gegen Spanisch – dennoch prallt die Sprache irgendwie an mir ab. Noch seltsamer allerdings ist, dass es meiner deutschen Frau ähnlich geht, obwohl sie generell romanische Sprachen liebt und z. B. sehr gut Französisch spricht.

Leider bin ich zu faul, oder mir fehlt das notwendige geistige Equipment, das notwendig wäre, um mir Sprachen vorzunehmen, die weit entfernt sind von meiner angelsächsischen Basis (wie beispielsweise Koreanisch, Farsi oder Walisisch). Daher bleiben meine Überlegungen in Sachen Sprachenneigung recht eingeschränkt. Welche Erfahrungen hast du gemacht?

—ooo—

How many tangents does it take to get to a lexcentric blog?

If you had asked me half a century ago (when I was struggling through a degree course in Bristol, England) where I expected to end up, one of the least likely answers would have been “cast away on the shores of a Bavarian lake”, which is in fact what has happened. Perhaps that all comes from those tangents that I find so attractive to go off on (see Article 2). Looking back, I find the number of transitions that I’ve made during my life from one point of view to a very different one is quite impressive. The scion of staunchly conservative-voting parents is now hopelessly woke, the worried-lukewarm Christian has become allergic to, or at least suspicious of, all brands of religion (I have a fairly soft spot for Buddhism, which is not a genuine religion, but even that goes with a large dose of scepticism). The Briton and Englishman has now lived considerably longer in other countries than in his native land. And finally, the student who studied mathematics for no better reason than that he was good at it at school, and even went on to teach it in schools for no good reason at all, realized after many years that he was indifferent to it, and was actually more interested in languages. It was a long process, requiring a lot of luck and many tangents (such as a quite sudden decision to leave the UK for a country that I knew very little about).

If there is any common denominator to be found in this erratic course, it probably has to do with unlearning most of what I experienced at school. Clearly there was also quite a lot of acquired culture waiting to be unlearned that wasn’t directly school-related, but there were many overlaps between school and that culture. After all, our culture has now become extraordinarily permeated by school. So I tend to the view that my schooldays represented a distillate of my cultural surroundings at the time, as well as being the source of many more impositions dictated solely because school exists. And things don’t seem to have improved since.

Well, it looks as if this article is going off at one of those tangents – if there is anything planned about this blog at all, the dismantling of the school system was scheduled to come quite a bit later – but here it comes barging in already. So I had better quickly add another disclaimer: I’m not against schools in principle (even helped to found one) – but schooling needs to be done adequately.

Now let’s see if I can just ignore the dismantlement of the school system for the moment and home in on something more directly relevant to lexcentrism: Was I better at English or at mathematics in school? I got pretty good grades in both. That means I found effective ways of fulfilling other people’s expectations. But I think I had little intrinsic motivation to pursue either. Perhaps it was, in the end, helpful that I made the barking mad mistake of majoring in mathematics, because that might have saved me from having school and perhaps a subsequent course of humanities-biased studies ruin a latent interest in languages that was, apparently, biding its time until I got far away from the numbing effect of formal education. As it was, I managed to convince myself that I was pretty useless at learning foreign languages (a luckless series of Latin and French teachers helped as well), and that English was little more than a vehicle for getting good marks.

I’ll save my theories as to why that came about to later articles (so that readers have advance warning as to when they should bail out). Suffice to say here that I spent nearly a decade after leaving school barking up the mathematical, i.e. wrong tree before I was whisked away to a very different environment by a sorceress. Well, to be exact it was by my future and present wife. At that point I was trying to convince pupils that it’s important for everyone to learn maths, while my own doubts about that steadily grew stronger, and she was spending a year as a foreign language assistant in the same city in the west of England where I was teaching. When her year came to an end, she wanted to return to her native Germany to finish her teacher training and I thought: Maybe it’s time for something completely different, so I went with her. Just to have a closer look at a foreign country.

I suppose that was the moment that my dormant linguistic capacities had been waiting for, and they pounced. Finally rid of the (for me at any rate) entirely unsuitable formal language learning environment of school, I dove into a language that I had previously only been fleetingly acquainted with and became quite fluent within a year. Looking back at my previous experience with French I was genuinely surprised at this. To this day I still can’t speak or understand French very well, and I can’t be sure whether that’s because I have some mysterious affinity for German and not for French, or whether my command of French was actively sabotaged by school. But I’m pretty sure school didn’t help, to say the very least.

Do you have a viewpoint on the question as to whether some people have an innate affinity to particular languages, or indeed language altogether? My linguistic comfort zone appears to be Germanic, but, as I mentioned above, I’ve still no firm idea whether I was born like that or grew into it. I have a general tendency towards the former theory, because, oddly, I seem to have a kind of discomfort zone in Spanish. As far as I can tell I have nothing against the Spaniards or their language, but Spanish just bounces off me. To make matters more mysterious, my Romance-language-mad German wife experiences the same thing with Spanish, even though she loves French and would probably only need a couple of months living in Italy to become fluent in Italian, too.

I’m afraid I’m either too lazy, or don’t have the right mental equipment to tackle languages further removed from my Anglo-Saxon base (such as Korean, Farsi or Welsh), so my musings on language affinity remain very parochial. What has your experience in this area been?

—ooo—

Space filler: Did you notice that I used ‘dove’ above (“I dove into a language …”)? I wonder why – I think I would normally say (and write) ‘dived’, but some little bell rang to remind me that the usage ‘dove’ exists, and I thought, why not use the word just for fun. Well, after staring at both forms for too long I’ve now got to the point where ‘dived’ looks and feels as strange as ‘drived’.

This has triggered a little bout of musing (hopefully not filling more than a few lines) about ‘strong’ and ‘weak’ conjugations (of which German has lots). Do you, like me, find them tricky to learn (in a foreign language), but then somehow fitting once you’ve got used to them (as long as you don’t look at them too long and hard)? fight / fought, swim / swam / swum etc., or German: geben / gab, sehen / sah etc.

Final puzzle: Why are such verbs called ‘strong’ verbs, and the other ones ‘weak’? Doesn’t that sound somehow discriminatory?

Ich schweife (mal wieder) ab >

< Me going off on a tangent (again)


Nicht-Muttersprachlerin beim Versuch, zu verstehen, wie man auf die Idee kommen könnte, im Englischen die Präpositionen „off“ und „on“ nebeneinander zu setzen >

What does he mean: “… off on a tangent”?

< Non-native speaker of English trying to work out how anyone could come up with the idea of putting the prepositions “off” and “on” next to each other

  1. Hallo Martina, das klingt wie eine Neigung Richtung romanische Sprachen, die du (bisher) nicht ausleben konntest. Und Englisch – praktische…

  2. I think the vowel change is a common indicator for strong verbs in both languages (as well as Dutch and…

  3. Apropos your plunging into German back in the day I recalled seeing something in The Guardian about the benefits to…

  4. Hallo Charles, habe in der Schule Englisch und Französisch gelernt, wobei von letzterem nicht mehr viel übrig geblieben ist. Dabei…