Beitrag 3 / Article 3

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Erwachsene Männer im Streit über die Kommasetzung

Grown men arguing over commas

Wann ist eine Übersetzung keine Übersetzung?

Nachdem ich mich im ersten Blog-Artikel als Übersetzer geoutet hatte, machte mich meine Frau darauf aufmerksam, dass LeserInnen vielleicht erwarten könnten, im englischen Artikel eine genaue Übersetzung des deutschen Artikels zu finden – oder umgekehrt. Das trifft aber nicht zu. Man könnte höchstens sagen, dass der eine Artikel eine freie Wiedergabe des anderen ist. Beide jedoch sind eigenständig genug, gelegentliche Passagen zu enthalten, die im jeweils anderen Text nicht vertreten sind. (Siehe zum Beispiel die vielen Extrasätze in der rechten Spalte von Artikel 2.)

Das genannte Beispiel kann man als indirekten Fingerzeig auf einen Aspekt des Übersetzungsberufs sehen, der für Nichteingeweihte überraschend sein könnte.

Als ich über längere Zeit die Geheimnisse der professionellen Übersetzungszunft aufdeckte, dämmerte es mir, dass es die perfekte Übersetzung niemals geben kann. Jedenfalls nicht für Texte, die länger sind als ein kurzer Satz. Und selbst bei einem einzigen, kurzen Satz gibt es fast immer reichlich Möglichkeiten, ihn falsch zu übersetzen.

Diese Tatsache wird immer offensichtlicher, seitdem zunehmend von Maschinen übersetzte Texte auftauchen, in denen die künstliche Intelligenz den Kontext herrlich falsch interpretiert hat. Hier ein recht altes Beispiel: Viele Benutzeroberflächen von Programmen, Apps und Spielen bieten die Möglichkeit, den Inhalt einer Datei, den Verlauf eines Spiels usw. zu speichern. Im Englischen gibt es dafür fast immer den Menüpunkt „Save“. Oft werden solche Menüpunkte, Schaltflächen usw. maschinell übersetzt – und wie soll ein armer Übersetzungsalgorithmus wissen, dass in diesem Fall „Save“ nicht „Sparen“ im Sinne von Geld sparen heißen soll, sondern „Speichern“ im Sinne von „Sichern“? Ergebnis: verwirrte Programmnutzer, die sich fragen, was sich hinter dem Menüpunkt „Sparen“ verstecken mag (vor allem dann, wenn es sich zufällig um Finanzsoftware handelt).

Weniger klar ist jedoch, dass ein falsch verstandener Kontext nur eine von vielen Fehlermöglichkeiten darstellt, und dass manche davon recht tückisch sein können. Eine Übersetzung mag grammatikalisch, semantisch und orthografisch einwandfrei und trotzdem eine stilistische Katastrophe sein. Beispielsweise wenn man den Satz: „Wo gehst du hin?“ mit: „Whither goest thou?“ übersetzt. Der Zieltext stellt makelloses Englisch dar – bloß, diese drei Wörter sind vor einigen hundert Jahren aus dem Alltagswortschatz verschwunden. Sie wären in einem historischen Roman wunderbar aufgehoben, in anderen Fällen sind sie völlig fehl am Platz.

Das heißt: Es gibt für jeden längeren Text dutzende von möglichen Übersetzungen, jedoch passen in einer gegebenen Situation nur wenige davon, nämlich nur dann, wenn sie nicht nur einige, sondern alle der obigen Anforderungen erfüllen. Wenn man auch noch die persönlichen Vorlieben von LektorInnen und vor allem RedakteurInnen berücksichtigt, so wird der Anspruch an eine „perfekte“ Übersetzung genauso fragwürdig wie unsinnig.

Das erinnert mich an ein Lieblingsbuch von mir: „Eats, Shoots and Leaves“ von Lynne Truss. Es ist eine scharfsinnige und witzige Erklärung der englischen Zeichensetzung, in der ein ganzes Kapitel dem bescheidenen Komma gewidmet wird. Das Kapitel beginnt mit dem Satz: „When the humorist James Thurber was writing for the New Yorker editor Harold Ross, the two men often had very strong words about commas.“ („Als der Humorist James Thurber für Harold Ross, den Chefredakteur der New Yorker“, schrieb, stritten sich die beiden Männer gern und oft zum Thema Kommata.“) Lynne Truss beschreibt dann einen besonders krassen Fall, bei dem die komma-bezogenen Ansichten der beiden Streithähne nicht weiter hätten voneinander entfernt sein können: In Bezug auf die US-Flagge wollte Thurber Folgendes schreiben: „red white and blue“, während Ross (der Chef) vehement auf „red, white, and blue“ pochte. Wahrscheinlich flogen sogar Aschenbecher. Zugegeben: Diese Anekdote über zwei erwachsene Männer, die sich wegen der Kommasetzung stritten, hat mit Übersetzungen an sich nichts zu tun – dennoch hoffe ich, dass sie die Unmöglichkeit einer perfekten Übersetzung deutlich macht.

OK. Nun zum Artikeltitel zurück: „Wann ist eine Übersetzung keine Übersetzung?“ Für mich gibt es einen großen Unterschied zwischen diesen zweisprachigen Blog-Artikeln und einem bezahlten Übersetzungsauftrag. Am Ende eines Auftrags wartet ein Klient mit konkreten Vorstellungen bezüglich der Übereinstimmung zwischen dem deutschen Inhalt und dem englischen Inhalt. Hier nicht. Außerdem schreibt mir keiner vor, dass sich die Artikel stilistisch oder terminologisch gleichen müssen, vergleichbare Sprachniveaus aufweisen sollen, usw.* Dementsprechend kann ich mir erlauben, jeweils das zu schreiben, was mir gefällt – und selbstverständlich euch hoffentlich auch.

* Um ehrlich zu sein: Viele Klienten haben von solchen Dingen eh keine Ahnung und können eine gute Übersetzung von einer schlechten kaum unterscheiden. Das bleibt aber lieber unter uns.

In Deutschland muss jede TV-Werbung für pharmazeutische Produkte von einer Empfehlung begleitet werden, medizinischen Rat bezüglich Risiken und Nebenwirkungen einzuholen. Oft werden diese Empfehlungen so kurz wie irgend möglich gehalten und daher extrem schnell gesprochen, was dazu führt, dass die gesprochene Empfehlung wie aus einem Zeichentrickfilm klingt. Das würde ich im nachfolgenden Hinweis gern durch Stauchung der Zeichenabstände nachäffen, leider kann man das, soweit ich weiß, in WordPress nicht tun (seltsamerweise kann man die Zeichenabstände zwar vergrößern, aber nicht verkleinern). Daher die Bitte an dich, den Hinweis laut zu lesen, so schnell wie möglich und in deiner besten Mickey-Mouse-Manier:

Haftungsausschluss:

Die englischsprachigen und deutschsprachigen Artikel in diesem Blog stellen keine genaue Übersetzung des jeweils anderen Artikels dar. Der Autor bietet keine Garantie, dass sich die Inhalte entsprechen und LeserInnen sollten nicht versuchen, ihre jeweiligen Fremdsprachenkenntnisse dadurch zu verbessern, dass sie den einen Artikel als wortwörtliche Entsprechung des anderen betrachten. Wegen Risiken und Nebenwirkungen rate ich davon ab, irgendjemanden um Rat zu bitten, höchstwahrscheinlich wird dir niemand weiterhelfen können.

—ooo—

When is a translation not a translation?

My wife pointed out that, as I outed myself as a translator in the first blog article, readers might reasonably expect the English column of these articles to be a translation of the German column, or vice versa. Well, they’re not. One of the texts simply paraphrases the other, and both of them are independently minded enough to include, occasionally, passages not represented at all in the other. (See for example the extra sentences in Article 2.)

And that indirectly illustrates an important aspect of the translation business that can remain somewhat hazy to the woman, man or dog in the street.

While I was feeling my way into translation as an occupation, I fairly soon realized that there is no such thing as a perfect translation, at least for any text that goes beyond just a simple sentence. And even most simple sentences are wide open to mistranslation.

I suppose this fact has become more clear to the casual reader since badly human-translated dishwasher instructions have been eclipsed by machine translations that hilariously get the wrong context. Here’s a nice little example: Many user interfaces of programs, apps and games provide an option to secure the contents of a file, the progress of a game and so forth for future use. The corresponding menu item for this action is almost always labelled ‘Save’ in English-language programs. Such labels are aften machine translated into other languages – but how can a poor translation algorithm know that, in this case, the context is ‘securing data’ (saving, equals ‘Speichern’ in German) rather than ‘setting money aside’ (saving, equals ‘Sparen’ in German). Result: confused program users wondering what the ‘Sparen’ menu item is supposed to mean, especially if the program happens to be software for use in the financial world.

However, wrong context is just one pitfall of many, and some of those pitfalls are particularly tricky. A translation may be grammatically, semantically and orthographically* flawless, but a stylistic catastrophe. Try, for instance, translating “Wo gehst du hin?” with the following sentence: “Whither goest thou?”, and see what impression it makes on your client. It’s correct English (assuming that words don’t have an expiry date), but a flawed translation in 99% of all contexts.

* I had to come to Germany and meet the word ‘Rechtschreibung’ to become fully aware of its counterpart in English, ‘orthography’. Our teachers in school probably thought we couldn’t cope with such a weighty word, so we simply had to get our spelling right.

In other words, there will always be dozens of different possible translations of any text, but only a few will be regarded as acceptable because they tick all the boxes indicated above. Add to that the personal preferences and inclinations of a proofreader or, especially, an editor, and the definition of the ‘perfect’ translation becomes highly debatable.

This reminds me of a favourite book of mine: ‘Eats, Shoots and Leaves’ by Lynne Truss. It’s a sharp-tongued and witty elucidation of punctuation usage in English, with one chapter devoted to the humble comma. This chapter opens with the sentence: “When the humorist James Thurber was writing for the New Yorker editor Harold Ross, the two men often had very strong words about commas.” Lynne Truss goes on to describe a case in which their stances could not, from a commatical point of view, have been further apart: Thurber wanted to write (of the US flag): “red white and blue”, whereas Ross (as the boss) insisted on “red, white, and blue”. So even though this anecdote about two grown men arguing over commas doesn’t even involve differing languages, I hope it convinces you that there cannot be such a thing as a perfect translation, at least not if that means that it meets universal approval.

Well, back to the title of the article: When is a translation not a translation? When writing these dual-language blog articles my approach is quite different compared with a translation assignment. There’s no client at the end of the workflow with any expectations as to how faithfully the English-language article should reflect the content, style, register, tone, completeness, terminology, etc. of the German-language article, or vice versa.** So, with a great sigh of relief, I can concentrate on readability and creating copy that simply suits me, the readers of German and the readers of English in the, respectively, best possible way. (I thought I would err on the Ross side and toss in a few commas there. Or should I have rewritten the sentence anyway? Has anyone actually understood it? If not, try again – it does actually make sense of sorts.)

** Truth to tell, many clients haven’t a clue about all these things and couldn’t tell whether they’ve been adhered to anyway, because they lack sufficient command of the target language. But you never can tell.

Each and every TV advertisement for pharmaceutical products in Germany has to be accompanied by a combined written and verbal notice recommending buyers to consult a doctor or pharmacist regarding risks and side-effects. Advertisers often try to squeeze the voice-over into the shortest possible space of time, producing quite a comical effect reminiscent of cartoon voices. I don’t think WordPress allows me to do the typographical equivalent here by bunching up the words with less spacing between the letters (although it is, oddly, possible to provide more spacing between the letters), so please read this disclaimer aloud for yourself, fast and using your best Mickey Mouse imitation:

Disclaimer:

These English-language and German-language blog articles are not translations of each other. The author provides no guarantee of content equivalence and readers should not attempt to improve their command of English or German by using the articles as translations benchmarks. And: Regarding risks and side-effects please don’t bother to consult anyone as they are unlikely to be able to help.

—ooo—

Erwartungen vs. Realität bei Übersetzungen

Expectations meet reality in the world of translation

Der Quelltext, der übersetzt werden soll >

(der manchmal von vornherein verbesserungswürdig ist)

< The source text to be translated

(that is sometimes quite a dog’s breakfast to start with)

Die Erwartung des Klienten >

(Die Übesetzung soll einwandfrei sein, selbst wenn der Quelltext nur dahingerotzt wurde.)

< What the client expects

(The translation should be a literary masterpiece, never mind how chaotic the original text may have been.)

Wie es wirklich aussieht >

Du arbeitest unter 1000+ möglichen Übersetzungen eine aus, die so gut wie möglich passt.

< What actually happens

You work towards an acceptable result that ticks all boxes, discarding 1000+ alternatives.

6 responses to “Beitrag 3 / Article 3”

  1. Pete Warcup avatar
    Pete Warcup

    Another lovely discursive ramble – thanks. I wonder whether you debated over ‘program’. Maybe it’s the safest choice in the context of your wider English speaking audience. Or does it make sense to use ‘program’ in an IT context considering its overwhelming US (or Silicon Valley) associations?

    1. Charles Warcup avatar

      I can’t say I debated much, as I’ve been writing ‘program’ in IT contexts for decades now (since grudgingly accepting it as a kind of standard sometime in the last millenium). But I scurried off to see what Google AI says about it. As may be expected, there’s nothing hard and fast about it: “Usage varies: The acceptance of “program” for computer programs may differ across different industries, age groups, and regions within the UK.” Fair enough, I suppose.

  2. Alke avatar
    Alke

    Also very interesting might be the usage of the word „implement“ – as far as I know it has Latin roots, and as such it is used in Germany: „Wir haben das im Curriculum implementiert“ But in Computer Science we also say: „Wir haben das in der Sprache C implementiert.“ <-I guess this one might be English? Or would you use „implement“ in both versions in a translation?

    1. Charles Warcup avatar

      In both cases you’d use the past participle of the verb “to implement”, i.e. “We implemented that in the curriculum” and “We implemented that in C”. I find the two examples interesting in that they reflect different shades of meaning for “to implement”. In the first case the sense is similar to “We included that in the curriculum” or “We made that part of the curriculum”. In the second case, though, the sense is that “the means chosen to fulfil a computing task was to write a program for it in C” (as opposed to some other programming language).

      1. Alke avatar
        Alke

        That’s nice 🙂 in German I would choose: umgesetzt

        Wir haben das in unserem Ausbildungsplan umgesetzt.

        Wir haben das in (der Programmiersprache) C umgesetzt.

        Beides ist aber nicht die Übersetzung des lateinischen Ausgangswortes, oder?

  3. Charles Warcup avatar

    Komischerweise fühlt sich für mich “umgesetzt” wie “translated” an, die so etwas wie “hinübergebracht” / “carried across” heißt. (translatus, Partizip perfekt vom Verb transferre)
    Gemini KI sagt:
    “The verb “to implement” stems from the Latin word impleo, meaning “to fill up” or “to fulfill”.”
    Daher kann man sagen, dass es im Laufe der Zeit ohnehin eine oder mehrere Bedeutungsverschiebungen gegeben hat, so dass bezüglich der heutigen Verwendungsmöglichkeiten eines Worts wie “implement” / “implementieren” die Ursprungsbedeutung nur bedingt hilfreich ist.
    (Eines Beitrags werde ich mich vielleicht über die Evolution des englischen Worts “nice” auslassen – der Ursprung ist vom heutigen Bedeutungsspektrum weit entfernt!)

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